Tagebuch

Sonntag, der 2. August 1998
Peter Potz auf einer südafrikanischen Beerdigung und Partner-Praying.
Um 07.30 Uhr hat mein Gastvater Modisa mich geweckt (wie angekündigt). Nach Waschen und Frühstück (es gab Millemil und Fleisch, da wir gestern abend woanders gegessen haben ... lecker ...) haben wir um Punkt 08.00 Uhr (ebenfalls wie angekündigt) das Haus verlassen, um zur Kirche zu fahren. Wir bekamen ein ziemlich klappriges Taxi und ich bezahlte. Es war schon ein interessantes Erlebnis. Modisa nannte mir den Fahrpreis und dann wanderte das Geld nach vorn zum Fahrer und das Wechselgeld wanderte zu mir zurück. Um 08.20 Uhr erreichten wir die Grace Bible Church. Diese Kirche war einfach ein riesiges Dach zwischen zwei Wänden. Es begann mit einer Nachbereitung zu der Beerdigung von gestern. An dieser Stelle muß ich erst mal zurückblenden: Samstag, 01.08.98, 08.00 Uhr: Modisa und ich verlassen das Haus um zur Beerdigung von Sifiso Lawrence Sithole zu fahren. Es begann mit einer Eröffnung in der Grace Bible Church (einschließlich 20 Min praying the Lord). Es waren etwa 70 Personen anwesend. Gegen 10.00 Uhr ging es zum Haus des Verstorbenen, wo eine Menge Leute über den Toten sprachen und ... pray the Lord ... Im Laufe der Zeit wuchs die Menge auf 150 bis 180 Leute. Gegen 11.30 Uhr ging es zum Friedhof Avalon (dem größten in SOWETO) und es gab wieder ... richtig ... pray the Lord ... Dann wurde das Grab von Freunden zugeschaufelt. Bei unserer Bestattung waren jetzt etwa 300 Leute. Zeitgleich fanden auf dem Friedhof zwei andere Bestattungen statt. Gesamtzahl an Besuchern: schätzungsweise 800 - 1000. Vom Friedhof ging's wieder zum Haus des Verstorbenen, wo es Mittag gab (Reis, eine Art Gulasch, verschiedene Salate). Anzahl der Esser: etwa 200 Leute. Dann brachte ein Freund von Modisa uns mit dem Wagen nach Hause, wo wir gegen 15.00 Uhr ankamen. An dieser Stelle Rückblende auf Sonntag, 02.08.98, 08.50 Uhr. Wir sind noch in der Nachbereitung zur Bestattung und haben gerade unser ... pray the Lord ... beendet; da gibt's was neues ... Partner-Praying ... jeder muß sich einen Partner suchen, ihn bei den Händen nehmen und ... pray the Lord ... Modisa erbarmt sich meiner und wird mein Partner. Dann geht's los. Ich bete 3x das Vater unser in Deutsch und versuche mich dann in Luthers Abendsegen (versteht hier ja sowieso keiner). Schließlich ist auch die Nachbereitung überstanden. 09.15 Uhr. Wir gehen zum Gottesdienst. Unter dem Dach stehen jetzt ca. 500 Stühle, von denen etwa 2/3 schon besetzt sind. Außerdem eine Bühne, sowie eine 10000 W Verstärkeranlage. Auf der Bühne ist eine Gruppe von 10 Leuten (7 Sänger, 1 Schlagzeug, 1 Keyboard, 1 E-Gitarre) dabei, Stimmung zu machen. Die ganze Gemeinde singt und tanzt mit. Eine großartige Show. Zwischendurch müssen alle Besucher, die zum ersten mal diese Kirche besuchen aufstehen. Angesichts der Menge der Zuschauer wird auf eine Vorstellung verzichtet, aber jeder bekommt 'so 'ne Art Greenhorn-Stern. Irgendwann beginnt die Predigt. Der sehr charismatische Prediger redet nur englisch und eine junge Frau übersetzt, ich glaube, in Zulu. Der zentrale Satz der Predigt war: "Wir sind eine Gruppe von Soldaten. Soldaten, bewaffnet für den Krieg." Dieser Satz wurde so oft wiederholt, daß nicht einmal ich ihn falsch verstehen konnte. Bei der Predigt ist mir klar geworden, über welche Macht die Prediger verfügen. Ich glaube, wenn ich aufgestanden wäre, und gesagt hätte, das sehe ich anders,, wäre ich wahrscheinlich an der Lautsprecheranlage aufgehängt worden. Ich gehe nicht davon aus, daß die Prediger ihre Macht mißbrauchen, aber ich beginne zu verstehen, wie Hitler in der schwierigen Zeit von 1933 an die Macht kommen konnte. Wenn ich - ohne das Wissen und die Erfahrung von heute - damals gelebt hätte, wäre ich möglicherweise ein guter Nationalsozialist geworden. Da kann man mal wieder sehen, bei Reisen in die Ferne lernt man auch etwas über sich selbst. Gegen 12.30 Uhr war der Gottesdienst dann zuende. Wir haben dann Sara, Ulli und Christine getroffen. Dann sind Modisa und ich zu einer Chorprobe gegangen. Der Chorleiter war etwa 1,65 mtr. und konnte den Frauen den Ton in ihrer Lage vorgeben und den Männern in ihrer. Was wir gesungen haben, habe ich schon wieder vergessen. Gegen 14.00 Uhr gab's noch eine kleine Diskussion über den freien Willen. Die ging aber nicht lange. So gegen 15.00 Uhr waren wir wieder zu Hause. Modisa's Schwester Faith brachte uns das Mittagessen. Es gab Hähnchen, eine Art Pfannkuchen mit einer scharfen Soße, Bohnensalat und rote Beete. Hat sehr gut geschmeckt. Dann haben wir Pause gemacht. Modisa schaltete den Fernseher ein. Es wurde ein Gottesdienst übertragen. Der Prediger sprach mit fast europäischer Ruhe. Modisa las in seiner Bibel und ich in meinem Star Trek-Roman. Gegen 16.30 Uhr machten wir uns nach einem ... pray the Lord ... auf den Weg zu Youth Alive, wo wir gegen 17.00 Uhr eintrafen. Ich war der 4. oder 5. Rückkehrer. Ich bekam von der Nachmittags-Diskussion nur noch mit, wie Elton sich verabschiedete. Er flog nach einem Jahr bei Youth Alive zurück nach Texas. Dann holte ich meinen Rucksack aus Abe's Büro und fing an, mich im Vorraum der Kapelle einzurichten. Licht gab's keins. Alle Lampen waren hinüber. Zum Glück gibt's Taschenlampen. Im Laufe der Zeit trudelten alle Wochenendler ein, tauschten Erfahrungen aus und richteten sich neu ein. Zum Abendessen besorgte Heinz-Joachim Chicken-Licken. Dazu gab's Brot. Nach dem Abendessen gab's ein gemütliches Beisammensein in Kleingruppen. Und irgendwann ging's dann ab in die Falle. Peter Potz